HANDELN
  • 5.–11. November 2018 im filmforum am Dellplatz
  • das festival des deutschsprachigen dokumentarfilms
  • doxs! dokumentarfilme für kinder und jugendliche 17

die preisträger
der 42. duisburger filmwoche

Der ARTE-Dokumentarfilmpreis, dotiert mit 6.000 Euro, geht an:

BARSTOW, CALIFORNIA von Rainer Komers
DE/US 2018 | Farbe | 76 Min. | Deutsche Erstaufführung

BARSTOW, CALIFORNIA 
Rainer Komers

Begründung:
"Meine Haut fühlt sich warm und lebendig an, diesen September in Saint Quentin. Als wäre ich eine Eidechse, die sich auf einem großen Stein sonnt." Das sagt die Stimme des Dichters und Häftlings Spoon Jackson, während wir auf Landschaftsbilder der sonnendurchtränkten Mojave-Wüste in Kalifornien schauen. Der Film BARSTOW, CALIFORNIA (der Geburtsort von Spoon Jackson) ist sowohl ein ergreifendes Portait der Kalifornischen Wüste und des in ihr eingeschriebenen Lebens als auch eine Begegnung mit Jackson, der seit 1977 in zahlreichen Gefängnissen in lebenslanger Haftstrafe einsitzt. Komers lässt Jackson Passagen aus dessen Autobiographie verlesen, die wir im Off hören, ohne ihn selbst je ins Bild zu bringen. Stattdessen sehen wir eine virtuose und überraschende Kollage von kinematographisch eindrucksvollen Landschaftsbildern der Gegend, in der Jackson seine kurze Kindheit und Jugend verbrachte. Diese wird uns mitunter vorgestellt von zwei der 18 Brüder Jacksons, die in Freiheit leben und Auskunft geben über eine Familiengeschichte, die geprägt ist von Armut, Gewalt, Einsamkeit und Rassismus. All das wird verhandelt, ohne je ins Zentrum gerückt zu werden: So entsteht ein Bild von Spoon Jackson aus kleinen und kleinsten Teilen, die nie zu eindeutig, nie zu klar, nie zu einfach sich zueinander fügen und gerade darin den Mensch wie den Ort zum Schillern bringen. Herzlichen Glückwunsch Rainer Komers!

 

Der 3sat-Dokumentarfilmpreis für den besten deutschsprachigen Dokumentarfilm, dotiert mit 6.000 Euro, geht an:

KULENKAMPFFS SCHUHE von Regina Schilling
DE 2018 | Farbe | 92 Min.

KULENKAMPFFS SCHUHE
Regina Schilling
Foto: Uli Grohs

Begründung:
"Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen", heißt es bei William Faulkner. Was das für die deutsche Geschichte heißt, zeigt dieser Film. Er öffnet einen neuen Blick auf die NS-Zeit und ihre Nachwirkungen, die vor einem Begriff wie "Stunde Null" eben nicht Halt gemacht haben. Der Film tut das mit alten Bildern: mit privaten Aufnahmen vom scheinbaren Familienidyll der Wiederaufbaujahre und Fernsehmaterial aus jener Zeit. Die Geschichte eines Vaters, der bei Kriegsende ein junger Mann war, wird übergeblendet in eine Mediengeschichte der Bundesrepublik, in der die Generationsgenossen Hans Joachim Kulenkampff, Hans Rosenthal und Peter Alexander zu Ersatzautoritäten werden. In seiner Revision des populären Bewegtbilds der ersten Nachkriegsjahrzehnte legt der künstlerisch konsequente und erzählerisch präzise Film frei, was immer nur am Rande gesagt werden kann, weil alle von dem Gleichen schweigen: Schuld und Trauma. Nicht zuletzt ist diese Arbeit ein unbedingtes Plädoyer für die Öffnung der öffentlich-rechtlichen Archive: Was dort an Schätzen gehoben werden kann, zeigt KULENKAMPFFS SCHUHE. Und wenn die ARD den Überraschungserfolg in ihrem Sommerprogramm wirklich verstanden hat, dann muss sie einen anderen Zugriff auf solches Material möglich machen als bislang – auch um zu verhindern, dass dieser Film nach Ablauf irgendwelcher Rechte wieder verschwindet.

 

Der Förderpreis der Stadt Duisburg, dotiert mit 5.000 Euro, geht an:

DER FUNKTIONÄR von Andreas Goldstein
DE 2018 | Farbe & s/w | 72 Min.

DER FUNKTIONÄR Andreas Goldstein

Begründung:
Dem Vater nachspüren, die Vergangenheit verstehen, sich in eine Zeit und ein Denken einfühlen: Diese drei Bewegungen setzen eine Suche in Gang, die das Zueinander von Filmemacher und Vater zu etwas Größerem machen: Insistierend und ruhig, sezierend und zugleich betroffen – in dieser Mischung aus Dringlichkeit und Vorsicht verwebt Andreas Goldstein die Systeme und Funktionsweisen des Staates und der Medien mit dem System Familie, ohne dies je in zu einfachen Analogien aufgehen zu lassen. Das kann der Dokumentarfilm: Ich sagen und sich selbst befragen und dabei nach außen deuten, um die Bedeutungen von Bildern – von Vätern, Idealen, Ideologien – zu vervielfachen und so – for better or worse – lebendig zu halten. Der Förderpreis der Stadt Duisburg geht an Andreas Goldsteins DER FUNKTIONÄR: Herzlichen Glückwunsch!

 

'Carte Blanche' - Nachwuchspreis des Landes NRW dotiert mit € 5.000, geht an:

AGGREGAT von Marie Wilke
DE 2018 | Farbe | 92 Min.

AGGREGAT 
Marie Wilke 

Begründung:
Von "Haltung" reden zumeist die Leute, die keine haben. Das Wort funktioniert als Gratislob, das überall draufgepappt werden kann, weil es nie begründet werden muss. Was Haltung fürs Filmemachen bedeutet, zeigt dieser Film: Er versucht sich an einer Deutschland-Beschreibung unserer aufgekratzten Gegenwart und er hat sich Gedanken gemacht, wie das zu bewerkstelligen ist. Die Kamera beobachtet verschiedene Öffentlichkeiten – vom Bundestagsbesucherzentrum über Bürgergespräche und Pegida-Aufmärsche bis zur "Bild"-Zeitungsredaktionskonferenz – und sie tut das aus nüchterner Distanz. Zwischen den Szenen steht langes Schwarzbild: Auch damit schützt sich der Film vor jener unterreflektierten Faszination, mit der Medien häufig auf kalkulierte Beeinflussungen von rechts reagieren. AGGREGAT wird so zur Beobachtung der Beobachtung, in der sich mit Abstand betrachten lässt, was die Newsproduktion tatsächlich produziert: etwa einen absurden, weil immer nur auf Rassismen rumhackenden Fernsehbeitrag über den Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby. Die Fernsehjournalisten würden, darauf angesprochen, vermutlich sagen, sie fragen nur, was sich eh jeder fragt. Dass es komplizierter ist, zeigt Marie Wilkes Film: Hier kann man dem Framing bei der Arbeit zuschauen.

10. November 2018, die Jurys: Alejandro Bachmann, Pepe Danquart, Matthias Dell, Antje Ehmann, Tereza Fischer, Lena Stölzl

Der Preis soll Ansporn sein, den eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen. Das Potenzial, das der Siegerfilm zeigt, soll weiter ausgeschöpft werden. Die Preisträgerinnen wird dabei durch ein Mentorat unterstützt und soll beim nächsten Projekt von einem erfahrenen Filmemacher oder einer erfahrenen Filmemacherin begleitet werden.

Im Anschluss an die Überreichung der "Carte Blanche" verlieh das Land NRW, vertreten durch Ruth Schiffer, ein Arbeitsstipendium für den künstlerischen Dokumentarfilm für Kinder oder Jugendliche, das in Kooperation mit dem Filmbüro NW und doxs!/Duisburger Filmwoche organisiert wird und mit 9.900 Euro dotiert ist.

Dana Linkiewicz ist mit ihrem Projekt "Die große Stille" die erste Stipendiatin des neuen Stipendiums des Landes NRW. Ihr Projekt widmet sich der prekären sozialen Situation einer jungen Generation in Deutschland und will Jugendlichen Anstoß geben, wieder für ihre Zukunft zu kämpfen.

 

Der Publikumspreis der Rheinischen Post für den beliebtesten Film, dotiert mit 1.000 Euro, geht an:

SEESTÜCK von Volker Koepp
DE 2018 | Farbe | 136 Min.

SEESTÜCK 
Volker Koepp

10. November 2018, die Jury: Margret Daniels, Kurt Große-Gehling, Markus Hainbach, Rosa Menges, Marianne Neumann