Begründung:
Was bedeutet Leben in der Fremde? Das Eigene zu verabschieden und es gleichzeitig zu bewahren, einen Teil seiner selbst zu verlieren und trotzdem die Notwendigkeit, eine neue Identität zu finden. In der Fremde zu leben, bedeutet aber nicht allein zu sein: Es gibt jene, die man zuhause zurückgelassen hat und jene, mit denen man versucht, eine neue Gemeinschaft zu bilden. Dieses Bild kennzeichnet die Vereinigten Staaten von Amerika seit Jahrhunderten als Inbegriff eines Einwanderungslandes und als Utopie. Fridolin Schönwiese begleitet zwei Immigranten in Mexiko, in Kansas City und zu einem Ort, der auf keiner Landkarte verzeichnet ist: die fünfte Himmelsrichtung. Dabei findet er in beeindruckender Weise zu einem Gleichgewicht zwischen stiller Beobachtung und aufschlussreicher Sichtbarmachung. Denn was dort und da sichtbar wird, hebt erwartbare Widersprüche auf: Die Bilder verschmelzen die unterschiedlichen Lebensräume zu einem neuen Ort der immerwährenden Heimatlosigkeit.
Begründung:
Der Film, den die ARTE-Jury auszeichnet, mutet einem zu, lange nicht zu wissen,
worum es geht. Alltagsbilder einer Familie vermischen sich mit Momentaufnahmen eines Ortes, und dazwischen malt ein Mann.
Die Bilder, die der Regisseur malt, erklären uns nichts über diese Menschen. Sie
bieten uns viel mehr: Sie machen uns ihre Geschichten spürbar. Farben gesellen
sich zu Farben, Erzählungen treffen auf Erzählungen. So füllen sich langsam die
Lücken in der Familiengeschichte, aber die Fragen bleiben. Sie klingen nach und
lassen uns noch lange an einen Film denken, der mit feinen Schwingungen ein
großes Echo schafft. Wir gratulieren.
Begründung für "Herr Berner und die Wolokolamsker Chaussee":
Es gibt viele Zugänge zur Geschichte. Der Film, den wir mit der Hälfte des
Förderpreises auszeichnen, entscheidet sich für einen einfachen, genauer, für
einen zunächst, auf den ersten Blick einfachen.
Nämlich: dafür einen Mann – er ist alt, ansonsten weiß man von ihm gar nichts – einen Text lesen zu lassen. Dieser, ein Theatertext, führt den Mann zurück, in die
Vergangenheit, an Orte des Zweiten Weltkrieges, der Vernichtung, des
Völkermordes, von dem der Mann ein Teil war.
Das ist nicht alles: die besondere Inszenierung nimmt die Erzählungen des
Mannes auf, setzt Betonungen und ermöglicht dem Betrachter Einblicke in
Seelenschichten, in sowohl in einzelnen Biographien wie im Allgemeinen
weiterwirkenden gespenstischen Dimensionen deutscher Geschichte.
Begründung für "Auf Teufel komm raus":
Auf Teufel komm raus stellt sich einem brisanten gesellschaftspolitischen Thema und nimmt aus heikler Position gegensätzliche Perspektiven ein, ohne eine eigene Haltung aus dem Blick zu verlieren. In überlegter dramaturgischer Entwicklung werden verborgene Motive aufgedeckt und unbequeme Entscheidungen über Schuld und Bestrafung erkundet. Vorgefasste Meinungen machen neuen Fragen Platz.
Begründung:
Wir haben uns bewusst für einen Film entschieden, der sich als Protagonisten einen Weltbürger der globalen Kunstszene gesucht hat, der zugleich lokal in Deutschland verwurzelt ist. Der Film, der uns Anteil nehmen lässt am kreativen Zusammenspiel von Künstler und Handwerker und an der Entstehung einer auch im Ausland hoch geschätzten deutschen Buchdruckkunst.
Mit der gleichen ästhetischen Präzision, die ihren Protagonisten auszeichnet, betreiben auch die beiden Regisseure ihr filmisches Handwerk und nehmen uns darüber hinaus mit auf eine unterhaltsame Reise mit vielen Stationen und bedeutenden Vertretern der internationalen Kunst und Literatur, die uns zudem vor Augen führt, wie international und universell die Wertschätzung dieser Druckkunst ist.
Neben dem Preisgeld wird der Film angekauft, mit Untertiteln in mehreren Sprachen versehen und den Goethe-Instituten weltweit für ihre Filmarbeit angeboten.
Eine lobende Erwähnung geht an:
Auf Teufel komm raus von Mareille Klein und Julie Kreuzer
(Deutschland, 2010, Farbe, 82 Min)
Den Regisseurinnen gelingt es, die vielschichtige Auseinandersetzung um die fehlende Akzeptanz der Ansiedlung eines Sexualstraftäters in einem kleinen Ort nach Verbüßung seiner Strafe und die nachfolgende mediale Dynamik auf höchst differenzierte Art darzustellen.
Faszinierend ist es vor allem, wie genau sich die beiden Filmemacherinnen ihren zum T. sehr problematischen Protagonisten zu nähern verstehen und wie ihre sensible Interviewtechnik im Lauf des Films für den Zuschauer stets neue Lebensgeschichten und Bedeutungsebenen zutage fördert.