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die preisträger
der 35. duisburger filmwoche

Der 3sat-Dokumentarfilmpreis für den besten deutschsprachigen Dokumentarfilm, dotiert mit 6.000 Euro, geht an:

Carte Blanche von Heidi Specogna
(Schweiz 2011, 91 min)

Carte BlancheHeidi Specogna

Begründung:

"Carte Blanche" ist ein Film der Kontraste. Hier der Angeklagte, beschuldigt des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, dort die Opfer dieser Verbrechen. Hier die kühle Architektur des Gerichtsgebäudes in Den Haag, dort die Ärmlichkeit der Lehmhütten in Zentralafrika. Hier die organisierte Langmut juristischer Verfahren, dort der Schrei des Mädchens, dessen Beinwunde nicht heilen will.

Zwischen diesen Polen entwickelt der Film sein politisches Sujet. Er beschreibt das Verfahren, das der Internationale Gerichtshof in Den Haag gegen den kongolesischen Milizenführer Jean-Pierre Bemba vorbereitet. Dessen Truppen hatten 2002-2003 die Zivilbevölkerung terrorisiert, gemordet und vergewaltigt. Der Film verfolgt, wie die Mitarbeiter dieses Gerichts, Staatsanwälte, Ermittler, Forensiker arbeiten, um diese Verbrechen nachzuweisen und welche Motive sie antreiben.

Der Film verfolgt selbst eine Strategie, die jener des Gerichts gleicht: er setzt auf Augenzeugenschaft und Beweissicherung. Ein klassisches dokumentarisches Verfahren. Er zeichnet sich aus durch hartnäckige und präzise Recherche und zugleich durch Parteilichkeit. Heidi Specogna setzt die Opfer in einer Weise ins Bild, die ihnen ihre Würde wieder zurückgibt. In diesen Bildern steckt die Hoffnung, das lange Warten auf Gerechtigkeit möge am Ende belohnt werden.

 

Der ARTE-Dokumentarfilmpreis, dotiert mit 6.000 Euro, geht an:

Aber das Wort Hund bellt ja nicht von Bernd Schoch
(Deutschland 2011, 48 min)

Aber das Wort Hund bellt ja nichtBernd Schoch

Begründung:

Der Titel des Films ist ein Spiel mit der Semantik. Er setzt weder Punkt noch Fragezeichen, sondern scheint eine Entgegnung auf einen Satz zu sein, der uns unbekannt bleibt. Als Fragment einer Unterhaltung verweist er auf das, was wir nicht sehen und nicht wissen können. Und dennoch setzt er etwas in die Welt.
Die Arbeit mit Fragmenten setzt sich im Film fort. Drei Musiker bei der Arbeit. Wir sehen aber immer nur einen von ihnen. Vorsichtig beginnen seine Bewegungen, Klänge, steigern sich, werden laut, das Bild gerät in Vibration. Schweißperlen. Wir hören, was wir nicht sehen und sehen, was wir nicht hören.
Ein Schnitt, Stille.
Wieder ein Fragment, diesmal in Form einer Stimme, die aus dem Leben eines Berufsmusikers erzählt. Dann beginnt die Wiederholung der Form.

Der Film seziert ein Ereignis und setzt es im Kino wieder zusammen. Er verengt den Raum, dehnt die Zeit, und ermöglicht dadurch eine intensive Kino-Erfahrung mit dem Free Jazz des Schlippenbach-Trios. Und plötzlich wird das Unsichtbare hörbar und das Fragment gleichbedeutend mit dem Ganzen. Dieser Film ist mehr als ein Musikerportrait. Es ist auch ein Film, der auf radikale Weise von der Übersetzung, der Neuerfindung von Wirklichkeit im Dokumentarfilm handelt.

Der Arte-Dokumentarfilmpreis geht an "Aber das Wort Hund bellt ja nicht" von Bernd Schoch.

 

Der Förderpreis der Stadt Duisburg, dotiert mit 5.000 Euro, geht an:

Anna Pavlova lebt in Berlin von Theo Solnik
(Deutschland 2011, 79 min)

Anna Pavlova lebt in BerlinTheo Solnik

Begründung:

Was passiert eigentlich, wenn der Rausch zum Alltag wird? Wenn die Flucht zum Ritual erstarrt? Wenn es nur noch Nächte und keine Tage mehr gibt?
In bestechenden Schwarz-Weiß-Bildern erzählt unser ausgezeichneter Film von einem Leben, in dem es keine Kontraste mehr gibt. Wo Sprache zu Lallen wird, Begegnungen zu Kollisionen, Leben zu Brei.
Und dann ist es doch ganz anders. Dann lernen wir eine Frau kennen, die eine Vergangenheit hat und an die Zukunft denkt. Deren Gegenwart mehr Spannungen enthält, als wir es auf den ersten Blick vielleicht vermuten. Wir sehen, wie sie verletzt wird und andere verletzt. Wie sie ausgenutzt wird und selber ausnutzt. Wir kommen einer Frau näher, die auf sich allein gestellt ist und deren Verlorenheit uns erschüttert.
Dennoch erklärt sie sich nur aus dem Zusammenhang einer Stadt heraus, die zum Treiben gemacht zu sein scheint, die das Denken an morgen verschiebt und den Augenblick, das Jetzt, immer noch etwas ausdehnen möchte.
Der Film, den wir mit dem Förderpreis auszeichnen, bringt uns eine Frau näher, einen Lebensstil und eine Stadt. All diesen Reichtum trägt er in seinem Titel:
"Anna Pavlova lebt in Berlin".

 

Der Publikumspreis der Rheinischen Post für den beliebtesten Film, dotiert mit 1.000 Euro, geht an:

Die Große Passion von Jörg Adolph
(Deutschland 2011, 144 min)