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die preisträger
der 36. duisburger filmwoche

Der 3sat-Dokumentarfilmpreis für den besten deutschsprachigen Dokumentarfilm, dotiert mit 6.000 Euro, geht an:

THORBERG von Dieter Fahrer
(CH 2012, 106 min)

THORBERG von Dieter FahrerDieter Fahrer

Begründung:

"Thorberg" führt uns an einen Ort, den wir aus dem Fernsehen zu kennen glaubten. Er zeigt uns direkt und deutlich Körper, Rituale und Regeln, die Begrenzungen des Raums und das Verstreichen der Zeit. Der Film lässt seine Protagonisten ausführlich zu Wort kommen, er übernimmt die Perspektive ihrer Selbsterklärungen aber nicht einfach. In präzis gewählten Bildern gelingt ihm eine fein austarierte Balance zwischen Nähe und Distanz. Für keinen Moment lässt er dabei vergessen, dass er in einer totalen Institution entstand. In die zunehmend eindimensionalen Debatten um Sühne, Strafe und Vergeltung greift dieser Film ein. Nüchtern, und umso provokanter, vermittelt er einen Gefängnisalltag, beim dem das erklärte Ziel der Resozialisierung längst nicht mehr im Vordergrund steht. Dieter Fahrer hat uns einen im besten Sinne politischen Film geschenkt, der das Ergebnis einer anhaltenden engagierten Praxis ist.

Eine lobende Erwähnung geht an:

DER AUFTRAG von Ayla Gottschlich
(D 2012, 51 min)

DER AUFTRAG von Ayla GottschlichAyla Gottschlich

Begründung:

Wir wollen aber auch eine lobenden Erwähnung aussprechen für einen Film, der bezüglich dem Aufbau von Spannung und Suspense einzigartig war an diesem Festival. Mit geradezu klinischer Nüchternheit und in millimetergenau geschnittenen Dialogen führt dieser auf das notwendigste reduzierte Film vor, wie die Suche nach so einfachen Dingen wie Wahrheit und Gerechtigkeit zum Thriller wird. In streng durchkomponierten Bildern zeigt dieser Film nicht viel mehr als die institutionell abgesteckte Interaktion von drei, ja eigentlich nur zwei Protagonisten. Einer von diesen vermag durch seine professionelle Beharrlichkeit nachhaltig zu beeindrucken. Die gleiche bewundernswerte Haltung zeichnet auch die Regisseurin Ayla Gottschlich aus, die ihren Film "Der Auftrag" gegen jahrelange vielfältige Widerstände realisiert hat.

 

Der ARTE-Dokumentarfilmpreis, dotiert mit 6.000 Euro, geht an:

PREIS DES GOLDES von Sven Zellner & Chingunjav Borkhuu
(D 2012, 93 min)

PREIS DES GOLDES von Sven Zellner & Chingunjav Borkhuu
Sven ZellnerChingunjav Borkhuu

Begründung:

Ein Presslufthammer bricht in die Stille der Wüste. Eine sanfte Stimme erklärt, wie man Dynamit präpariert. Eine Frau lächelt und versteckt die Messer, damit die Männer sich nicht abstechen.
Wir bewegen uns zwischen zwei Achsen: dem Horizont der Wüste Gobi und der Vertikalen eines Schachtes. Im Schnittpunkt dieser Achsen: 2 Bosse, 3 Arbeiter und eine Köchin - eine Gruppe von Desperados in einer Goldgräber-Saga.
Aber anders als in Amerika sind sie keine Siedler, die nach fremden Schätzen suchen, sondern befinden sich in ihrem eigenen Land. Und diesem Land und sich selbst fügen sie bei vollem Bewusstsein Wunden zu: sie vergiften ihren Körper mit Staub und Quecksilber und verletzen die spirituelle Ordnung, in dem sie sich in die Eingeweide ihrer Felsen schlagen.

Mit souveräner Sorgfalt erzählen die Filmemacher von der Aussichtslosigkeit der Arbeit der Goldgräber. Die Wüste ist eine leere Bühne und auf dieser Bühne  arrangieren sie die wenigen Requisiten äußerst präzis zu einer Geschichte der Gewalt, die allerdings wie die selbstgebauten Dynamitstangen immer wieder in der Stille Gobis erstickt. Interviews verdichten die Filmemacher zu inneren Monologen, die dem Film eine ergreifende poetische Kraft verleihen. Die Kamera macht aus der Schwierigkeit, sich im Staub der Goldmühle und der enge der Schächte zu bewegen, ihre größte Stärke und schafft Bilder mit überwältigendem physischen Ausdruck.

Der Arte-Preis geht an "Preis des Goldes".

Der Förderpreis der Stadt Duisburg, dotiert mit 5.000 Euro, geht an:

SCHILDKRÖTENWUT von Pary El-Qalqili
(D 2012, 70 min)

SCHILDKRÖTENWUT von Pary El-QalqiliPary El-Qalqili

Begründung:

Heimat als Fiktion. Wahrscheinlich können wir uns alle darauf einigen, dass Heimat weniger ein konkreter Ort ist als eine bei jedem unterschiedlich stark brennende Sehnsucht. Aber was passiert, wenn Heimat gar kein Ort ist? Wenn sie nur ein Wort ist, das einem die Eltern ins Ohr flüstern? Wenn sie nur ein Bild ist, das wir aus den Beschreibungen anderer kennen? Wenn sie ein Verlust ist, den wir selbst nie erlitten haben?
In dem Film, den wir auszeichnen, sehen wir einen Menschen, den diese Abstraktion zerrissen hat. Er will an einen Ort zurückkehren, an dem er noch nie war – und verlässt dafür einen Ort, an dem er viele Jahre lang war, aber wahrscheinlich nie lebte. Zurück bleiben eine Frau und vier Kinder, von denen eines schließlich anfängt zu fragen. Das Antworten will, die den Vater zu sehr schmerzen, als dass er sie geben könnte, und das trotzdem weiterfragt. Ja, das den Vater in ein regelrechtes Kreuzverhör nimmt und doch kein Urteil fällt.
Obwohl die Fragen so viel Raum einnehmen, bietet der Film auch Antworten. Nur hören wir sie nicht, sondern sehen sie – nämlich wenn der Vater plötzlich aufrecht geht, den Kopf nach oben hebt, den Menschen direkt in die Augen sieht und eine Frucht verzehrt, als könne er sich ein ganzes geliebtes Land einverleiben. Diese Film-Machung, diese Wandlung von abstrakten Fragen und Antworten in konkrete Bilder ist es, die dem Film seine Kraft verleihen.
Um eine Frage aus dem Film selber zu zitieren: Was machen Kinder mit den Geschichten ihrer Eltern? Im besten Fall einen wunderbaren Film wie "Schildkrötenwut".
Gratulation an Pary El-Qalqili.

 

Der Publikumspreis der Rheinischen Post für den beliebtesten Film, dotiert mit 1.000 Euro, geht an:

SCHILDKRÖTENWUT von Pary El-Qalqili
(D 2012, 70 min)