• duisburger filmwoche 37
  • das festival des deutschsprachigen dokumentarfilms
  • doxs! dokumentarfilme für kinder und jugendliche
  • 4. - 10. november 2013 im filmforum am dellplatz

die preisträger
der 37. duisburger filmwoche

Der ARTE-Dokumentarfilmpreis, dotiert mit 6.000 Euro, geht an:

Sieniawka von Marcin Malaszczak
(DE/PL 2013, 126 Min. )

Sieniawka von Marcin Malaszczak Marcin Malaszczak

Begründung:

Vielleicht nähert man sich dem prämierten Film am besten darüber, was er alles nicht ist. Auch wenn er Menschen zeigt, die außerhalb der Gesellschaft stehen, ist er kein "Problemfilm", der mahnend auf einen sozialen Missstand aufmerksam machen will. Auch wenn er die meiste Zeit in einer öffentlichen Institution spielt, will er doch deren Wirken und Verfasstheit nicht erklären. Der aufklärerischen Tradition des Dokumentarfilms setzt er ein fundamentaleres Projekt entgegen: Er nimmt die Realität nicht als gegeben hin, sondern verschiebt die Parameter der Wahrnehmung, sodass Randständige oder gar komplett aus der Gesellschaft ausgeschiedene plötzlich ganz selbstverständlich im Zentrum stehen. Er öffnet einen (Innen)Raum, in dem alles möglich scheint, in dem selbst die Naturgesetzte keine Gültigkeit mehr haben; in dem die Grenzziehungen zwischen Form und Inhalt, Dokumentation und Fiktion, Gegenwart und Zukunft, Normalität und Geisteskrankheit nicht nur neu abgesteckt, sondern bedeutungslos werden. Dafür, dass er uns die Welt mit neuen Augen sehen lässt, geht der Arte-Preis an "Sieniawka" von Marcin Malaszczak.

 

Der 3sat-Dokumentarfilmpreis für den besten deutschsprachigen Dokumentarfilm, dotiert mit 6.000 Euro, geht an:

Betongold – Wie die Finanzkrise in mein Wohnzimmer kam von Katrin Rothe
(DE 2013, 52 Min.)

Betongold – Wie die Finanzkrise in mein Wohnzimmer kam von Katrin Rothe Katrin Rothe

Begründung:

Es gibt Filme, die machen es sich einfach. Sie erzählen vom Befinden der oder des Filmschaffenden, benennen außerdem, wer ist der Bad Guy, wer ist der Good Guy und sie erklären uns nebenbei auch noch, wie die Welt funktioniert. Und wir von der 3sat-Jury zeichnen einen Film aus, auf den all das zutrifft.

Während atemloser 52 Minuten lässt uns die Filmemacherin teilhaben an ihrem Kampf gegen ein Monster. Die Prinzessin und der Drache. Seit Menschen Geschichten erzählen können, gibt es dieses Motiv. Der Ausgang des ungleichen Kampfes ist stets ungewiss – bis zum Ende, so es denn gut erzählt ist – und es ist überflüssig zu erwähnen, dass das hier brillant erzählt ist – und die Männchen und Weibchen, die, hervorragend gezeichnet und animiert, immer dann erscheinen, wenn Unfilmbares oder Unsagbares gesagt und gezeigt werden soll, sind genau so, dass sie uns stets erwarten lassen, der Drache müsse nun doch nächstens um die Ecke kommen.

Mit spielerischer Leichtigkeit, umwerfender Selbstironie und einem messerscharfen analytischen Verstand macht sich die Regisseurin daran, einer Maschinerie zu trotzen, die sie zu verschlingen droht. Und dadurch, dass sie uns ganz konkret zeigt, wie frau das macht und, dass man sich wehren kann, macht sie uns Mut, es ihr gleichzutun. Vielleicht kommen wir ja selber einmal in die Situation, die wir hier sehen, vielleicht haben wir das auch schon erlebt, vielleicht haben wir auch Glück, aber uns solidarisieren, was für ein altertümliches Wort, das können wir auf jeden Fall. Und man könnte auch sagen: Wer nicht fliegen kann, muss kriechen, wer nicht kriechen will, muss kämpfen.

"Betongold – Wie die Finanzkrise in mein Wohnzimmer kam" ist ein mutiger Film, ist ein Film, der Mut macht, aber auch Wut. Wir von der 3sat-Jury übergeben den 3sat- Dokumentarfilmpreis für den besten deutschsprachigen Dokumentarfilm an Katrin Rothe für ihre Courage, für ihren Humor und für ihre Fähigkeit, auch sich selber in Frage zu stellen und doch jederzeit es mit dem Drachen aufzunehmen.

 

'Carte Blanche' - Nachwuchspreis des Landes NRW dotiert mit € 5.000 , geht an:

Assessment von Mischa Hedinger
(CH 2013, 49 Min.)

Assessment von Mischa HedingerMischa Hedinger

Begründung:

Situationen transparent machen; erkennen, was sich dem Auge entziehen will; einblicken, um Handeln zu ermöglichen. So lauten einige der wichtigsten Losungen des Dokumentarischen. So lauten aber auch die Arbeitsvorgaben zahlloser staatlicher Kontrollinstanzen, die sich im Dienst des Gemeinguts meinen. Sehen, als soziale Praxis, heißt Kontrolle, Abgleich, Prüfung. Für den Filmemacher, den wir auszeichnen, ist das kein Sündenfall des Dokumentarischen, sondern Arbeitsgrundlage.

Der Film, der uns hier auf ihn aufmerksam gemacht hat, beobachtet Beobachter bei ihrer Arbeit: In einstündigen Sitzungen soll geklärt werden, ob Menschen wieder Leistung tragen können, wie sie sollen. Ein Optimierungs-Schauspiel mit mäßigem Erfolg: Selbstentfaltungs- Floskeln laufen ins Leere, Machtdynamiken werden von der Kamera entziffert, Misstrauen ist die Konstante. Zugleich werden wir vom Wissen der Institutionen versucht, selbst ins Begutachten zu verfallen. "Assessment", so heißt der Film, prüft auch unseren eigenen Willen zum Ressentiment. Und Mischa Hedinger, so heißt der Filmemacher, empfiehlt sich nicht bloß als findiger Beobachter und hinterlistig präziser Erzähler. Er denkt und untersucht die Zumutungen neoliberal durchformter Realität von der Wahrnehmungs- und Machtmaschine Film her. Diese Klammer zeigt sich, blickt man auf frühere Arbeiten zurück, als durchgängige Handschrift und zentrales Interesse Hedingers. Wir sind gespannt, was als nächstes kommt.

9. November 2013, die Jury: Geri Krebs, Philipp Mayrhofer, Susanne Mi-Son Quester, Sven von Reden, Joachim Schätz, Katrin Schuster

Der Preis soll Ansporn geben, den eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen, weshalb der Preisträger darüber hinaus mit einem Mentorat unterstützt und beim nächsten Projekt von einem erfahrenen Filmemacher begleitet werden soll. Dafür konnte in diesem ersten Jahr Harun Farocki gewonnen werden.

Ab 2014 wird zudem auf der Duisburger Filmwoche ein neues Programmfenster geöffnet, worin wird die neu entstandene Arbeit – als Film oder als moderierte Präsentation dessen Status quo – gezeigt wird.

 

Der Förderpreis der Stadt Duisburg, dotiert mit 5.000 Euro, geht an:

Ricardo Bär von Nele Wohlatz und Gerardo Naumann
(AR 2013, 92 Min.)

Ricardo Bär von Nele Wohlatz und Gerardo Naumann
Nele WohlatzGerardo Naumann

Begründung:

Der Film, den wir mit dem Förderpreis der Stadt Duisburg auszeichnen, führt die Schicksale dreier junger Menschen zusammen, die sich einem symbolischen Tausch verschreiben: damit der eine etwas über seine Vergangenheit erfahren kann und die andere über ihre Zukunft, bieten sie dem dritten eine Möglichkeit in der Gegenwart.

Dieser Tausch lässt sich aber nur unter der Bedingung konkretisieren, dass aus diesem glücklichen, zufälligen Zusammentreffen ein Fall von Fügung wird. Dies kann nur der Allmächtige garantieren und wer auf dessen Antworten wartet, braucht Geduld.

In der Zwischenzeit diskutiert man Fischerei und Mel Gibson, spielt Theater und reflektiert die Furcht der Schweine vor dem Wiegen im Reissack. Den Rätseln dieser Welt begegnen die Filmemacher gleichsam wie ihr Filmheld mit protestantischer Artigkeit und Demut. Eine klug verschachtelte Montage gibt dem Film einen humorvoll trockenen Ton und uns das Vergnügen einer Dokumentation, die einer befreiten, undogmatischen Filmgeneration angehört.

Der Förderpreis der Stadt Duisburg geht an den Film "Ricardo Bär" von Gerardo Naumann und Nele Wohlatz. Einer der beiden, Nele Wohlatz, wurde bereits ein Förderpreis verliehen, wir wollten aber nicht darauf verzichten, den für uns neben den Hauptpreisträgern überzeugendsten Film auszuzeichnen.

 

Der Publikumspreis der Rheinischen Post für den beliebtesten Film, dotiert mit 1.000 Euro, geht an:

Café Ta’amon – King-George-Street, Jerusalem von Michael Teutsch
(DE 2013, 87 Min.)

Café Ta’amon – King-George-Street, Jerusalem von Michael TeutschMichael Teutsch