• 3. - 9. november 2014 im filmforum am dellplatz
  • duisburger filmwoche 38
  • das festival des deutschsprachigen dokumentarfilms
  • Gewidmet Peter Liechti, Michael Glawogger und Harun Farocki
  • doxs! dokumentarfilme für kinder und jugendliche

die preisträger
der 38. duisburger filmwoche

Der ARTE-Dokumentarfilmpreis, dotiert mit 6.000 Euro, geht an:

"Städtebewohner" von Thomas Heise
(DE 2014, 87 Min.)

"Städtebewohner" von Thomas HeiseThomas Heise

Begründung:

Es gibt über diesen Film nicht viel zu sagen. Er macht einen stumm, aber nicht fühllos. Das ist seine Qualität, das macht ihn aus. Er nimmt uns mit in einen geschlossene Welt, um zu sehen ohne zu richten. Die künstliche (Innen-)Welt scheint lebenswerter als die vermeintliche Freiheit vor den acht Türen, denn der geschlossene Raum ist auch ein geschützter Raum. In einem Schwenk über den Gefängnishof entfaltet sich ein kleines Rasenstück vom Paradies. Dennoch gibt es viel Platz für Dunkles in diesem Film, nicht in Schwarz-Weiß, sondern in Grautönen. Fragen nach der Vergangenheit, nach Gewalt und Verbrechen werden gestellt, sie bleiben Fragmente von märchenhaft-traurigen Geschichten.

In seinem Film STÄDTEBEWOHNER zeichnet Thomas Heise ein poetisches Bild eines Jugendgefängnisses in Mexiko City. Es wird hier keine Institution beschrieben, Heise dichtet in der ihm eigenen (Film-)Sprache. Es gibt nicht viel dazu zu sagen. Aber an das, was wir empfunden haben beim Anblick der jungen Männer und beim Hören ihres Sprechens werden wir uns noch lange erinnern.

 

Darüber hinaus vergibt die Jury eine Lobende Erwähnung an

"Tower House" von Karl-Heinz Klopf
(DE/JP 2013, 62 Min.)

Begründung:

Wir möchten eine lobende Erwähnung aussprechen für TOWER HOUSE von Karl-Heinz Klopf, da der Film bestechend und konsequent Form und Inhalt miteinander in Einklang bringt.

 

Der 3sat-Dokumentarfilmpreis für den besten deutschsprachigen Dokumentarfilm, dotiert mit 6.000 Euro, geht an:

"Portrait of A lone farmer" von Jide Tom Akinleminu
(DE/DK/NG 2013, 76 Min.)

"Portrait of A lone farmer" von Jide Tom Akinleminu Jide Tom Akinleminu

Begründung:

"Kinder aus Mischehen sind wie Vögel mit zwei Paar Flügeln. Wird das eine Paar schwächer, werden sie mit dem stärkeren fliegen."

Das Bild der Vögel mit den zwei Flügelpaaren stammt vom Großvater des Filmemachers. Er richtete die Worte an seinen Sohn, der in den 1970er Jahren in Dänemark seine zukünftige Frau kennenlernte. Das Paar zog nach Nigeria, bekam zwei Töchter, einen Sohn. Doch seine Wege gingen auseinander. Jahre später bricht Jide Tom, der Sohn, inzwischen in Berlin zum Filmemacher ausgebildet, auf, um bei seinem Vater in Nigeria etwas zu suchen, von dem er nicht weiss, was es ist. Man könnte dieses Etwas bezeichnen als eine Suche nach den eigenen Wurzeln, die Suche auch nach dem eigenen Platz auf der Welt. Es ist in diese Suche eingeschrieben die Begegnung mit, und die Annäherung an den Mann, der des Regisseurs Vater ist, dieses "Lone Farmers", des einsamen Bauern.

Jide Tom Akinleminu gelingt es in seinem wunderbar offenen Film "Ich" zu sagen, ohne eitel oder prätentiös zu wirken. Er scheint sich dabei bewusst zu sein, dass die Konzepte von Identität in der Welt von heute überdacht werden müssen, weil längst ein großer Teil der Menschheit mit zwei Paar Flügeln unterwegs ist. Es ist bemerkenswert, wie klug und souverän der Autor mit seinen Bildern umgeht, die ein ums andere Mal von Unnahbarkeit, vom Sich-Entziehen und vom Ungreifbaren berichten und dennoch ständig neue Erfahrungsräume öffnen. Fast beiläufig entwickelt er dabei in wenigen Bildern ein Gefühl für das heutige Nigeria, in dem sein Vater lebt.

Akinleminu betrachtet den Alltag dieses "Lone Farmers" mit einem neugierigen, gleichwohl nüchternen Blick. Daraus ergibt sich eine schöne Gewichtung zwischen Distanz und Vertrautheit. Auch die Anwesenheit der Kamera wird dabei nicht verschwiegen, immer wieder spielen die Akteure mit deren Präsenz. Am Ende steht nicht das Pathos der Versöhnung oder die große Antwort; auf der Fahrt zurück verliert die Straße sich im Nebel während Spuren im Sand die Erzählung beenden.

 

'Carte Blanche' - Nachwuchspreis des Landes NRW dotiert mit € 5.000 , geht an:

"Hier sprach der Preis" von Sabrina Jäger
(DE 2014, 72 Min.)

"Hier sprach der Preis" von Sabrina JägerSabrina Jäger

Begründung:

Der Arbeitstag wird von mehr oder weniger eifrigen Angebotsdurchsagen getaktet, die Prozentzahlen hinter dem Minuszeichen steigen täglich. Währenddessen verdorren die Blumen an der Warenrücknahme, die blaue Pfütze aus verschütteter Farbe trocknet langsam ein.

HIER SPRACH DER PREIS lautet der Titel des Films von Sabrina Jäger, die dafür die diesjährige Carte Blanche erhält. Schon mit der Vergangenheitsform – "Hier spricht der Preis" lautete ja der Slogan des Praktiker-Baumarkts – macht die Autorin kenntlich, wie schnell sich eine hohle Werbeformel gegen sich selbst wendet. HIER SPRACH DER PREIS ist ein Nachruf: Nachdem Praktiker im Juli des vergangenen Jahres Insolvenz anmeldete, begleitete Jäger den Ausverkauf in einem der Märkte bis zum bitteren Ende – an dem ein für die kapitalistische Welt ziemlich brutales Bild steht: ein Kaufhaus ohne Waren; ein Lager, in dessen Regalen die Leere gähnt.

Sabrina Jäger beweist in ihrem Film ein beeindruckendes Gespür für den Rhythmus des Niedergangs. Nicht nur Blumen, Farbtöpfe und Tresore verweigern sich dem Ausverkauf, auch die Mitarbeiter werden widerwillig, als Übernahmegerüchte die Runde machen. Statt Kommunikation herrscht Unverständnis: Keiner weiß, was das Wort "Transfergesellschaft" eigentlich bedeutet, und der Brite Nigel, der neuerdings das Sagen im Markt hat, spricht ohnehin nur Englisch. "Das ist der, wo die Ware gehört. Das ist aber nicht mein Chef." So schlicht und doch so kompliziert beschreibt eine Protagonistin die neuen Machtverhältnisse an ihrer Arbeitsstelle, die bald nicht mehr ihre Arbeitsstelle sein wird.

Dass Sabrina Jäger sich der Ästhetik des Praktiker-Markts bedient, um diese Geschichte von den Dingen und den Menschen zu erzählen, macht ihren Film zu einem regelrechten Memento Mori – nicht nur für diesen Baumarkt oder für alle Baumärkte, sondern vielleicht sogar für den Warenfetischismus als solchen.

8. November 2014, für die Juries: Sven von Reden, Katrin Schuster

Der Preis soll Ansporn geben, den eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen, weshalb der Preisträger darüber hinaus mit einem Mentorat unterstützt und beim nächsten Projekt von einem erfahrenen Filmemacher begleitet werden soll. Dafür konnte in diesem Jahr Ulrike Franke gewonnen werden.

In 2015 wird auf der Duisburger Filmwoche soll die neu entstandene Arbeit – als Film oder als moderierte Präsentation dessen Status quo – gezeigt werden.

 

Der Förderpreis der Stadt Duisburg, dotiert mit 5.000 Euro, geht an:

"Pădurea e ca Muntele, vezi?" ("Der Wald ist wie die Berge") von Didier Guillain & Christiane Schmidt
(DE/RO 2014, 101 Min.)

"Pădurea e ca Muntele, vezi?" ["Der Wald ist wie die Berge"] von Didier Guillain & Christiane Schmidt
Didier GuillainChristiane Schmidt

Begründung:

Es gibt viele Spiel- und Dokumentarfilme über Sinti und Roma. Sie zeigen entweder Elend und Diskriminierung oder aber Folklore und Lagerfeuerromantik - manchmal auch beides zusammen. PĂDUREA E CA MUNTELE, VEZI? (DER WALD IST WIE DIE BERGE) ist anders. Er verzichtet auf solche plakativen Kontraste. Die Roma in dem portraitierten Dorf irgendwo im ländlichen Rumänien leben unzweifelhaft in großer Armut, aber nicht im Elend. Es gibt keine befestigten Straßen und die Holzhütten sind einfach, aber weder der öffentliche noch der private Raum wirken verwahrlost.

Mit ihrer Kamera tauchen Christiane Schmidt und Didier Guillain ein in ein trotz aller inneren und äußeren Probleme funktionierendes Gemeinwesen, das vom charismatischen Aron Lungurar angeführt wird. Ein Jahr lang nimmt sich der Film Zeit das Dorf und seine Bewohner zu beobachten. Die Vertrautheit der Familie Lungurar und des gesamten Dorfes mit der Kamera lässt spüren, dass die beiden Filmemacher schon seit Jahren immer wieder den Ort besuchen und eine persönliche Beziehung zu dessen Bewohnern aufgebaut haben. Diese Intimität des Blicks ermöglicht mehr Empathie als jeder noch so gut gemeinte Ansatz, der versucht, das Thema politisch zu instrumentalisieren.

 

Der Publikumspreis der Rheinischen Post für den beliebtesten Film, dotiert mit 1.000 Euro, geht an:

"Striche ziehen." von Gerd Kroske
(DE 2014, 96 Min.)

"Striche ziehen." von Gerd Kroske Gerd Kroske

8. November 2014, die Jury: Annegret Deupmann, Lars Henriksson, Rosa Menges, Marianne Neumann, Petra Müller