AUSGÄNGE - Duisburger Filmwoche 39
  • 2.-8. November 2015 im filmforum am Dellplatz
  • das festival des deutschsprachigen dokumentarfilms
  • doxs! dokumentarfilme für kinder und jugendliche
AUSGÄNGE - Duisburger Filmwoche 39 | 2.-8. November 2015 im filmforum am Dellplatz | das festival des deutschsprachigen dokumentarfilms | doxs! dokumentarfilme für kinder und jugendliche

die preisträger
der 39. duisburger filmwoche

Der ARTE-Dokumentarfilmpreis, dotiert mit 6.000 Euro, geht an:

"Zaplyv – Die Schwimmer" von Kristina Paustian
(DE/HU/RU 2015, 78 Min.)

"Zaplyv – Die Schwimmer" von Kristina PaustianKristina Paustian

Begründung:

Als sich im Westen in den sechziger Jahren die Jugend auf Sinnsuche begab, fand sie häufig Antworten in fernöstlichen Heilslehren und in Sekten. Die alten Institutionen – Staat und Kirche – hatten an Bindungskraft und Macht verloren. Neue Orientierungspunkte wurden gesucht, neue Wege, das Glück zu finden. Kristina Paustian geht mit ihrem Film „Zaplyv“ diesem Bedürfnis im aktuellen Russland nach, einer Gesellschaft, die nie solch eine Erosion traditioneller Autoritäten erlebt hat, in dem das Individuum nie selber für sich Verantwortung tragen musste. Wie sieht hier die Sinn- und Glückssuche aus?
Paustian begibt sich in den Süden des Landes, in dem der ehemalige Physiker Boris Zolotov eine Kommune meist junger Frauen um sich geschart hat. Die Rituale der Gruppe bestehen aus täglichen Schwimmstunden und nächtlichen Theaterperformances, während der „Guru“ seine kosmologischen Weisheiten mit der Autorität eines gütigen Autokraten verbreitet. Paustian geht es nicht um Erklärung oder Entlarvung, sie nähert sich ihrem Gegenstand aus überraschenden Perspektiven, die das Thema eher kaleidoskopisch öffnen, als es sukzessive „handhabbar“ zu machen. Damit findet sie eine freie Form – zwischen dokumentarischer Spurensuche und Inszenierung –, die im Gegensatz steht zu allen traditionellen oder alternativen Orthodoxien ihres Geburtslandes.

 

Der 3sat-Dokumentarfilmpreis für den besten deutschsprachigen Dokumentarfilm, dotiert mit 6.000 Euro, geht an:

"Über die Jahre" von Nikolaus Geyrhalter
(AT 2015, 188 Min.)

"Über die Jahre" von Nikolaus Geyrhalter Nikolaus Geyrhalter

Begründung:

Die Fabrik verlässt die Arbeiter, heißt die treffende Umkehrung einer Urszene des Bewegtbildes, die Harun Farocki zum 100. Geburtstag des Kinos für die Zeit der Globalisierung formuliert hat.
Der Film „Über die Jahre“ nimmt diese Beschreibung auf, wenn die zehn Jahre dauernde Langzeitbeobachtung ihren Ausgangspunkt in der Schließung einer Textilfabrik mitten in Europa findet. Der Film folgt aber nicht – wie so oft im Werk des Regisseurs Nikolaus Geyrhalter – den komplexen Bewegungen eines weltumspannenden Zusammenhangs, sondern er verbleibt bei den arbeitslos gewordenen Menschen im Waldviertel, im nördlichsten Teil Österreichs. Es geht um das Weiterleben von sechs Angestellten der einstigen Anderlfabrik, für die der Verlust eine teils existenzielle Frage nach dem Neubeginn aufwirft.
„Über die Jahre“ bilanziert auf respektvoll-zugewandte Weise einen Posten, der in den kühlen Kalkulationen der Profitmaximierung „Humankapital“ heißt – er portraitiert Menschen, die sich nie in den Vordergrund stellen würden, und er bringt Leute zum Reden, die nicht wissen, was an ihren Routinen interessant sein sollte.
Dabei erweist sich Geyrhalter – vor dem Hintergrund seines Werks vielleicht etwas überraschend – als großer Humanist, der die Bilder dieser Erzählung, gemeinsam mit seinem Cutter Wolfgang Widerhofer, mit freundlicher Ironie montiert. „Über die Jahre“ ist ein Film, der den Menschen auf respektvolle Weise begegnet und der seine Bilder in einem beeindruckenden Gespür für Rhythmus fragen und schweigen lässt. Ein Film, der keinesfalls beschönigt, aber im besten Sinn optimistisch ist. Der 3sat-Preis der Duisburger Filmwoche 2015 geht an „Über die Jahre“ von Nikolaus Geyrhalter.

 

'Carte Blanche' - Nachwuchspreis des Landes NRW dotiert mit € 5.000 , geht an:

"Sag mir Mnemosyne" von Lisa Sperling
(DE/GR 2015, 55 Min.)

"Sag mir Mnemosyne" von Lisa SperlingLisa Sperling

Begründung:

Lisa Sperling begibt sich auf die Suche nach der Lebensgeschichte ihres Großonkels, der Ende der 50er Deutschland verließ und unter anderem in Griechenland als Kameramann arbeitete. Es sind keine persönlichen Erinnerungen, die die Filmemacherin mit ihm verbinden, sondern seine Aufzeichnungen und die Erinnerungen anderer, die sie in einem poetischen Text zusammenführt. Dieser schwappt wie die Wellen des griechischen Mittelmeers immer wieder über die Aufnahmen von Schauplätzen der Filme des Großonkels und seines Lebens. Das Lose und Vage dieses fremden Lebens und der fremden Erinnerungen bildet der Film mit einer Klarheit ab, die erst die zeitliche und persönliche Distanz möglich macht. Die große Sicherheit, mit der sie sich ihrer filmischen Mittel bedient, um in unseren Köpfen Bilder von der Geschichte ihres Großonkels zu kreieren, macht uns neugierig auf das, was Lisa Sperling in ihrem nächsten Film erzählen wird.

7. November 2015, für die Juries: Irene Anna Genhart, Susanne Mi-Son Quester

Der Preis soll Ansporn sein, den eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen. Das Potenzial, das der Siegerfilm zeigt, soll weiter ausgeschöpft werden. Der Preisträger wird dabei durch ein Mentorat unterstützt und soll beim nächsten Projekt von einem erfahrenen Filmemacher begleitet werden. Dafür konnte in diesem Jahr Ute Holl, Filmemacherin und Professorin am Seminar für Medienwissenschaft an der Universität Basel, gewonnen werden.
2016 wird auf der Duisburger Filmwoche die neu entstandene Arbeit – als Film oder als moderierte Präsentation des Status quo – gezeigt werden.

 

Der Förderpreis der Stadt Duisburg, dotiert mit 5.000 Euro, geht an:

"Eismädchen" von Lin Sternal
(DE 2015, 60 Min.)

"Eismädchen" von Lin Sternal Lin Sternal

Begründung:

Wir sehen uns täglich konfrontiert mit Bildern sportlicher Erfolge und bis auf den letzten Muskel durchtrainierter Körper. Weit weniger häufig erfahren wir von der enormen Anstrengung, die hinter diesen Bildern steckt.
Just dahin aber leitet Lin Sternal in „Eismädchen“ ihren Blick und zwar in eigenwilliger und überraschender Art. Indem sie abrückt vom Wohlvertrauten, dem Brennpunkt des (sportlichen) Geschehens, und den Blick in stiller Beobachtung auf dessen Ränder verlegt. Auf die Gesichter der Personen, die dort stehen und ohne die solche Leistungen gar nicht möglich wären. Im Falle von „Eismädchen“: Die Mutter, die Trainerin und die jeweils andere Schwester.
Im Aufbruch vom Ort des sportlichen Geschehens, der Eislaufarena, ins Private des Zuhauses, erzählt „Eismädchen“, ohne dafür unnötige Worte zu verwenden, auch das Andere: Vom Heranwachsen unter diesem enormen Druck, der die zwei Schwestern, weit mehr als dies unter Geschwistern gemeinhin üblich ist, zu latenten Konkurrentinnen macht und die Mutter als dritte des schicksalhaften Trios zur tragischen Vermittlerin bestimmt.
Es zeigt die junge Regisseurin in ihrem fast ganz von der exakten Beobachtung lebenden Film ein bewundernswert reifes Vertrauen in ihre eigenen Bilder: „Eismädchen“ ist ein starker Frauenfilm – und der fragmentarische Anfang einer „Coming-of-age“-Story, in deren (deutschem) Titel subtil sinnfällig anklingt: die Härte, die solch sportliches Heranwachsen bestimmt, und die Fragilität, die solch jungem Menschenleben innewohnt.

 

Der Publikumspreis der Rheinischen Post für den beliebtesten Film, dotiert mit 1.000 Euro, geht an:

"Lampedusa im Winter" von Jakob Brossmann
(AT/IT/CH 2015, 93 Min.)

Lampedusa im Winter Jakob Brossmann

7. November 2015, die Jury: Annegret Deupmann, Lars Henriksson, Rosa Menges, Marianne Neumann, Petra Müller