Festival Preise
3sat-Dokumentarfilmpreis
Der mit 6.000 Euro von den vier Partnern des Gemeinschaftsprogramms ZDF, ORF, SRG und ARD dotierte 3sat-Dokumentarfilmpreis, überreicht durch Andreas Reinberger, Leiter Kommunikation 3sat, geht an
PALLIATIVSTATION
von Philipp Döring (DE 2025 / 245‘)
Begründung der Jury:
Was mache ich mit der Zeit?
Welcher Zeit?
Der Zeit, die so langsam ist, auf einmal.
Film als Auseinandersetzung und Konfrontation mit dem Selbst. Wie umgehen mit dem letzten Stück Leben, mit den Schmerzen, der Erschöpfung, der eigenen Angst vor dem Tod und jener der Angehörigen? Wie richtig abschließen, das Sterben akzeptieren?
PALLIATIVSTATION von Philipp Döring gibt diesen Fragen einen besonderen Raum und eine besondere Zeit. Vier Stunden lang folgen wir den Abläufen in der titelgebenden Station des Berliner Sankt Franziskus-Krankenhauses. Vor allem aber einem Team aus Ärzt:innen, Pfleger:innen Therapeut:innen und Sozialarbeiter:innen, das in Momenten Worte findet, in denen sonst häufig geschwiegen wird.
In der Beobachtung verschaltet sich Systemisches mit Persönlichem: bei einer sanften Berührung während der Krankenvisite, bei einem tiefehrlichen Beratungsgespräch, in Momenten der artikulierten Überforderung und Überlastung während interner Feedbackrunden, in Situationen voller Hoffnung und unverstellter Verzweiflung.
Es sind vier Stunden, die erstaunlicherweise kürzer nicht sein dürften, weil das Kino sie als etwas selten Wertvolles bewusst macht: als Lebenszeit und als Geschenk; als ein Kreislauf mit steter, bisweilen schmerzhafter Repetition und umso kraftvolleren Überraschungen. Erst die Dauer des Films lässt die körperlichen wie emotionalen Widerstände schwinden, sich einem Thema zu stellen, das unbequem und nach wie vor tabuisiert ist. Und es entsteht eine Nähe, ohne dass sich die Kamera aufdrängen muss: Wir lachen und weinen mit den Protagonist:innen, lernen sie kennen und müssen sie wieder gehen lassen. So sind es vier Stunden voller Bekanntschaften. Aber auch voller Ambivalenzen im Dokumentieren und Erleben individueller Grenzerfahrungen. Als offener Raum zwischen Zumuten und Zutrauen.
Der 3sat-Preis der Duisburger Filmwoche geht an einen Film, der ohne Team gedreht und quasi ohne Budget realisiert wurde. Ein Film, der uns erfahren, fühlen und lernen ließ. Der 3sat-Preis der Duisburger Filmwoche geht an PALLIATIVSTATION von Philipp Döring.
8. November, die Jury: Britt Beyer, Lisa Gerig, Sebastian Höglinger
ARTE-Dokumentarfilmpreis
Der mit 6.000 Euro dotierte ARTE-Dokumentarfilmpreis, überreicht durch Sabine Bubeck-Paaz, Redaktion ARTE Kultur und Musik, geht ex aequo an
HOLLER FOR SERVICE
von Kathrin Seward und Ole Elfenkämper (DE 2025 / 77‘)
ELBOWS IN SHATTERS
von Danila Lipatov (DE 2025 / 76‘)
Begründung der Jury:
In diesem Jahr möchte die ARTE-Jury ihren Preis zu gleichen Teilen an zwei Filme vergeben, die sich in unseren Gesprächen über die nominierten Filme in besonderer Weise zueinander in Beziehung gebracht haben.
Diese Beobachtung möchte die Jury betonen – aber nicht gewichten. Daher möchten wir die Filme gleichwertig auszeichnen.
Zwei Filme, die von Gemeinschaften handeln, von der Arbeit mit und in Communities. Zwei Filme, die dies formal auf unterschiedliche Weise tun – aber mit besonderer Aufmerksamkeit.
Der erste der Preisträgerfilme beginnt mit einer Auseinandersetzung am Telefon. Darin geht es um eine Verabredung, die unbedingt, unter allen Umständen einzuhalten ist. Es geht um Zuverlässigkeit. True Values.
Mit jeder Szene erfahren wir mehr über die Gesetzmäßigkeiten, die im Hardwarestore von Kellie gelten. Sie ist eine Problemlöserin. Sie setzt ihr Wissen und ihre Weisheit – wisdom – dafür ein, sie alle bestmöglich zu lösen. So zeigt sie sich uns als Businessfrau, Gabelstapler-Fahrerin, Tierärztin, Handwerkerin, Nachhilfelehrerin, Notarin, …
Sie kann mit einem Streichholz ein Feuer entfachen, sich in die Welt der Werkzeuge und Baumaterialien einarbeiten. Work-Life-Balance scheint für sie zu bedeuten, zu jeder Tages- und Nachtzeit für ihre Kund:innen und Mitmenschen da zu sein.
Kellies Baumarkt ist ein Ort, den es überall in den USA gibt und geben kann. Er basiert auf dem Willen zu Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit. Ihr unbedingter Einsatz für ihr Geschäft ist nur zum Teil ein Business, Kellie erschafft in ihm konsequent einen Ort „to hang out“ und „to share“. Darin bezieht sie alle ein – auch die Tiere.
Und dann lehnt an ihrem Schreibtisch ein Gewehr.
Was uns mit Kellie sympathisch, offen, vielfältig erscheint, steht über der politischen Polarisierung, die die USA erleben. Für sich und die eigene Gemeinschaft einzustehen, den Staat mit seinen Ideen außen vorzuhalten, ist keiner politischen Richtung zuzuordnen. Kellie steckt den Wirkungsraum ab, der sich von Einzelnen gestalten lässt, und der nach außen abgegrenzt und verteidigt werden muss. Der Film zeigt dies, indem er das Außen nahezu vollständig aus seinem dokumentarischen Kammerspiel heraushält. Kathrin Seward und Ole Elfenkaemper haben mit HOLLER FOR SERVICE eine wichtige Beobachtung aus den USA mitgebracht.
Der ARTE- Preis geht ex aequo an Kathrin Seward und Ole Elfenkaemper.
Der zweite Preisträgerfilm nimmt sich den Gemeinschaften in einer anderen Gegend der Welt an. Danila Lipatov fährt auf der Suche nach konkreten Orten zu der Migrationserzählung seiner Tante nach Duschanbe in Tadschikistan. Es gibt diese familiäre Spur, der er folgt, aber anstatt auf dem Persönlichen zu bestehen, öffnet er sich der Stadt und den Menschen vor Ort, denen er begegnet. In den autoritären Verhältnissen und vor den Kulissen des postsowjetischen Tadschikistans haben sie sich Freiräume geschaffen, die sie mit Danila teilen. Genau hier endet sein Konzept, und es beginnt ein neuer Film, in dem die Wahrnehmung, die Erfahrungen, die im Prozess des Filmens gemacht werden können, ins Zentrum rücken. Alle gemeinsam nehmen sich Zeit, lassen sich aufeinander ein und beginnen Szenen zu entwickeln, aus denen der Film entsteht. In langen Einstellungen, Tableaus kristallisieren sich locker und ohne Zuspitzung Fragmente einer dringlichen Erzählung heraus. Ein Platz, auf dem sich Leute tummeln, ein mit einem weißen Tuch verhülltes Denkmal – welche Erinnerung mag darunter sein? Man schaut sich ein, gewöhnt sich. Dann fährt ein Kind in einem elektrischen Spielzeugauto von links in die Szene. Etwas Neues beginnt. Im Bühnenbild eines anderen Stücks trägt eine junge Schauspielerin in einer Uniform aus dem 2. Weltkrieg Swetlana Alexijewitsch vor. Als Soldatin soll sie keinen Ohrring tragen, soll ihr Frausein leugnen.
Diese Szene führt zu einer anderen. Kollektiv wird das Stechen von Ohrlöchern zum heiter-zaudernden Moment des Protests, in den Danila einbezogen ist. Karen Zimmermann kommt für die Montage nach Duschanbe und beginnt, die wiederkehrenden Themen, Orte und Figuren zu einem gemeinsam angereicherten Erlebnisraum zusammenzuflechten. Immer wieder sieht man, wie sich die Gruppe dem Verstehen, ihrer Kommunikation und Präsenz vergewissert. Dem Film gelingt es, dies zu einem widerständigen Chor zu verstärken, ein Chor, der nicht agitiert, sondern zur Teilnahme und Mehrstimmigkeit einlädt.
Der ARTE- Preis geht ex aequo an Danila Lipatov und alle am Film Beteiligten.
8. November, die Jury: Enoka Ayemba, Christiane Büchner, Stefanie Gaus
Preis der Stadt Duisburg
Der mit 5.000 Euro dotierte Preis der Stadt Duisburg für den kurzen und mittellangen Dokumentarfilm, überreicht durch Edeltraud Klabuhn, Bürgermeisterin der Stadt Duisburg, geht an
ICH HÄTTE LIEBER EINEN ANDEREN FILM GEMACHT
von Suse Itzel (DE 2024 / 24‘)
Begründung der Jury:
Dort, wo traumatische Wunden entstehen, bleiben sie oft im Verborgenen, versteckt. Sie rufen Risse in der Erfahrung, Erinnerung und Repräsentation hervor. Dem Film gelingt es, eine eindringliche Form zu entwickeln, die dieses grundsätzliche Darstellungsvakuum, das die Traumatisierung hinterlässt, zu füllen vermag.
Mittels Bild-Projektionen in Räumen, ausgeschnittenen Familienfotos und einem Voice-Over entstehen Überlagerungen von schmerzhaften Erlebnissen, ihrer Wirkung und Verarbeitung bis in die Gegenwart. Mit Mut und Klarheit stellt sich der Film so der Herausforderung einer künstlerischen Visualisierung eines Traumas, das durch sexualisierte Gewalt entsteht.
ICH HÄTTE LIEBER EINEN ANDEREN FILM GEMACHT von Suse Itzel wandelt Leerstellen in Bilder von Leerstellen, die auf weitere Leerstellen verweisen. Der Film erhält dafür den Preis der Stadt Duisburg.
8. November, die Jury: Carla Caspari, Frida Horstmann, Stefan Neuberger
„Carte blanche“ Nachwuchspreis des Landes NRW
Der mit 5.000 Euro dotierte „Carte blanche“ Nachwuchspreis des Landes NRW geht an
DER TAG VOR DEM ABEND
von Max Koller (AT 2025 / 61‘)
Begründung der Jury:
Zu Anfang ist die Leinwand schwarz. Das Dunkel vor dem Licht. Prasselnder Regen, Straßengeräusche, vorbeirauschende Autos. Schon diese erste Einstellung verweist auf ein Nicht-Sichtbares, das im Jenseits des Bildes kaschiert bleibt. Eine eigenwillige Relation von Auftauchen und Verschwinden bestimmt den Film, der voll ist von Ausschnitten, von Händen und Füßen, von Teilen, von Dingen. Die Kamera ist oft schon da und lässt die alte Protagonistin ins Bild eintreten, um auf dem Schauplatz der Leinwand tastend zu manövrieren. Die präzise komponierten und fragmentierten Aufnahmen sind ein wenig aus den Angeln üblicher Kinobilder gehoben, wodurch gewohnte Raumkoordinaten verschoben und alltägliche Gesten anders wahrnehmbar werden. Aus der Beschränkung an Opulenz, aus langsamen Bewegungen der Kamera, aus vielen festen Einstellungen und spärlichen Dekors entwickelt der Film einen imaginären Überschuss.
Für seinen außergewöhnlichen audiovisuellen Möglichkeitssinn geht der Nachwuchspreis des Landes NRW an DER TAG VOR DEM ABEND von Max Koller.
8. November, die Jury: Carla Caspari, Frida Horstmann, Stefan Neuberger
Andocken-Preis für dokumentarische Perspektiven der Film- und Medienstiftung NRW
Der mit 5.000 Euro dotierte Andocken-Preis für dokumentarische Perspektiven der Film- und Medienstiftung NRW, überreicht von Katharina Blum, Leitung Veranstaltungen und Kooperationen, geht an
CASINO
von Johannes Lehnen
Begründung der Jury:
Johannes Lehnen will in CASINO eine Gruppe junger Auszubildenden dabei begleiten, wie sie in einem sechswöchigen Kurs die Arbeit des Croupiers erlernen. Bei Putzlicht und ohne Musik imitieren die Ausbilder dafür das übliche Spielverhalten der Casinogäste.
Es eröffnet sich ein filmischer Raum, der sich zwischen Beobachtung und Vorstellung entfaltet: Das Spiel wird zum Spiegel – und wir Zuschauer:innen sind mitten drin. In dieser doppelten Bewegung begegnen sich faszinierende Gegensätze: die Disziplin des Lernens und die Verlockung des Zufalls, der Traum vom großen Gewinn. Dem Spiel wird die Arbeit entgegengesetzt, denn nebenbei zeigt sich, wer in Deutschland 2025 bereit ist, sonntags, feiertags und nachts zu vergleichsweise geringem Lohn unter hohem Druck zu arbeiten – eine kraftvolle Reflexion über Arbeit, Herkunft und Träume, die zugleich immer an der sinnlichen, verführerischen Inszenierung dieses Spiels interessiert ist.
Wir wissen nicht, ob Johannes Lehnen auch mit seinen Worten gespielt hat. Sicher ist, dass er uns mit seinem mutigen, radikalen und selbstreflexiven, dabei zugleich unterhaltsamen Konzept verführt hat. CASINO verspricht ein Film zu werden, der das Dokumentarische neu denkt. Diesen Film wollen wir unbedingt sehen und unterstützen ihn daher sehr gerne mit dem Gewinn des ersten Andocken-Preises der Duisburger Filmwoche für eine herausragende dokumentarische Projektidee im Entwicklungsstadium.
8. November, die Jury: Pia Hellenthal, Christian Meyer-Pröpstl, Ümit Uludağ
Publikumspreis der Rheinischen Post
Der mit 1.000 Euro dotierte Publikumspreis Rheinischen Post für den beliebtesten Film, überreicht von Peter Klucken, geht an
ICH HÄTTE LIEBER EINEN ANDEREN FILM GEMACHT
von Suse Itzel (DE 2024 / 24‘)
8. November, die Jury: Kurt Große-Gehling, Ines Köhler, Petra Müller, Marianne Neumann, Dagmar Ohlwein Veronica Riedel