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Vom 3. bis 9. November werden im filmforum am Dellplatz insgesamt 27 Dokumentarfilme aus Deutschland, Österreich und der Schweiz – darunter sechs Uraufführungen sowie sechs deutsche Erstaufführungen – dem für Duisburg typischen Deuten ausgesetzt. Zum 38. Mal hat die Auswahlkommission aus den Einreichungen ein Programm verdichtet, dessen Amplituden weit ausschlagen, sowohl im Thematischen wie Stilistischen: Bögen werden geschlagen durch Kontinente und Kulturen, es gibt Studien, die an den Experimentalfilm erinnern wie Arbeiten, welche die Mittel der Invention wie Intervention nutzen. Und natürlich gibt es weiterhin die ‚klassischen‘ Formen der Langzeitbeobachtung, der reflektierenden Wiedervorlage von Geschichte, der eindringlichen Menschenporträts. Wie immer in Duisburg geht es nicht darum, lediglich die äußere Wirklichkeit abzubilden. Es geht darum, die Dinge und Zeiten künstlerisch zu deuten. Und Auftrag und Privileg unseres Publikums wird sein, seinerseits zu bedenken und zu besprechen, was die Filme uns bedeuten.
gut geplant
Mit einer Modellage beginnt die 38. Duisburger Filmwoche. Wo einst ein Stahlwerk stand, wird heute mediterranes Flair erschaffen. In GÖTTLICHE LAGE – EINE STADT ERFINDET SICH NEU beobachten Ulrike Franke und Michael Loeken über fünf Jahre, wie in Dortmunder Stadtteil Hörde die Brache des Stahlwerks Phoenix-Ost im neu geschaffenen Phoenix-See untergeht und neue Nachbarn wie Ideen auf alteingesessene treffen. Weichen sollen auch die Werke der früheren Leuchtenfabrik „Vulkan“ in Köln, investiert soll werden in ein weiteres Einkaufzentrum. Mit WEM GEHÖRT DIE STADT – BÜRGER IN BEWEGUNG begleitet Anna Ditges weit länger als geplant ein Bürgerbeteiligungsverfahren, das Amtsträger und Investoren zu deutungsvollen Gesten bewegt. Statt eröffnet wird anderswo geschlossen. HIER SPRACH DER PREIS von Sabrina Jäger zeigt die Abwicklung einer Filiale der Baumarktkette „Praktiker“ zwischen Abverkauf und Zukunftsängsten. Ängste, die fernab der sozialen Netze fast überstanden scheinen. Als Produkt der Krisen und Fehlinvestitionen erklimmt Markus Lenz mit RUINA den weltweit ersten vertikalen Slum in Venezuelas Hauptstadt und zeigt den Aufbau einer selbstbestimmten Mikrogesellschaft.
gut gefahren
Eine Seefahrt, die hat Duisburg heuer mehrfach im Angebot. Weit gereist ist beispielsweise Alfred D., ein omnipräsenter Sozialdemokrat, dessen Reisetagebücher André Siegers mit SOUVENIR aufbereitet und ein Portrait zwischen Weltenbummler und Kreuzritter zeichnet. Die Welt umfahren auch Barbara Kasper und Lothar Schuster, die mit CARGO in See stechen und sich auf eine Reise in frühere Zeiten begeben, als der Filmemacher auf einem Handelsschiff anheuerte. Volker Koepp taucht, begleitet von Johannes Bobrowskis’ Taumgedichten, in seine filmische Vergangenheit. Vom Kurischen Haff im Norden Europas segelt er IN SARMATIEN bis zum Schwarzen Meer. Dort übernimmt Stanislaw Mucha und bereist mit TRISTIA – EINE SCHWARZMEER-ODYSSEE einmal die sechs Anrainer des eurasischen Meeres. Die Menschen an den Ufern mit all ihren Geschichten und Ressentiments immer im Blick. Fernab davon, zurück in Zentral- und Südeuropa, verwebt Ruth Beckermann in THOSE WHO GO THOSE WHO STAY Persönliches wie Politisches zu einem Tuch der Rastlosigkeit, einem Stoff der Geschichte.
gut getroffen
Portraitiert wird auf der Leinwand des filmforums auch an den Rändern, zwischen Visualisierung und Imagination. Während sich DER UNFERTIGE Ketten anlegt, auf dem Bett Jan Soldat und dem Betrachter in ungewohnter Egalität von sich und seinen Meistern erzählt, erscheint Mr. X in Tami Libermans NAPPS – MEMOIRE OF AN INVISIBLE MAN nur hinter der Kamera. Zwischen den Extremen begleitet Hans-Dieter Grabe RAIMUND – EIN JAHR DAVOR beim Spalten und Zersägen der Stämme, um Brennholz zu haben für die kommenden drei Jahre. Zu einer biografischen Collage ordnet René Frölke in LE BEAU DANGER Textfragmente, Auftritte und den Alltag des rumänischen Schriftstellers Norman Manea, der das Konzentrationslager in Transnistrien überlebte und danach mit seiner Familie in die USA emigrierte.
gut gebaut
Strukturen in Zeit und Raum projiziert die Filmwoche noch immer klassisch: in zwei Dimensionen. Verwirrung stiftet Lukas Marxt mit DOUBLE DAWN [DOPPELTER SONNENAUFGANG], dem Zirpen und der Stille über einer australischen Uranmine. Marcin Malaszczak hingegen ergründet mit ORBITALNA die Beziehung zwischen Natur und künstlich Geschaffenem in der gleißenden Sonne eines polnischen Tagebaus. In die Dichte Tokios taucht TOWER HOUSE von Karl-Heinz Klopf ein. Auf 20 Quadratmetern Grundfläche schraubt sich im Haus des Architekten Takamitsu Azuma die Kamera Stufe um Stufe empor und offenbart Ein- wie Weitsicht auf das Bauen für ein Leben auf engstem Raum. Unweit dessen, am Ort der Weltklimakonferenz von 1997, nähern sich Stefanie Gaus und Volker Sattel in BEYOND METABOLISM einer Architektur, die den Traum von urbanem Leben in der Dynamik des unendlich scheinenden Raumes suchte.
gut gesonnen
Auch davor Persönliches auszudeuten schreckt Duisburg nicht zurück. Michele Cirigliano lehrt mit PADRONE E SOTTO [HERR UND KNECHT] das Spiel mit den Karten in einer Bar Süditaliens und eröffnet Einblicke in einen sozialen Mikrokosmos. Der die Kultur des Tigergeistes im Zentraljava nähert sich Ascan Breuer im Haus der Großeltern. Zwischen Eulen und dem Schein des Mondes bahnt sich in RIDING MY TIGER ein Schattentheater den Weg durch die Nacht und Familiengeschichte. Jide Tom Akinleminu zwingt mit PORTRAIT OF A LONE FARMER zur Suche nach Identität und reflektiert zwischen Hühnerfarm und Häuptlingen die eigenen und die Wege des Vaters in Nigeria. Henrike Meyer konfrontiert mit HEIMSUCHUNG die vertraute Umgebung mit dem Zwischenweltlichen. Welche Bedeutung haben Zwiebelmuster und Hundegebell im Angesicht des Freundes Hein? In KURZE ECKE treffen sich regelmäßig die verbliebenen Stammgäste an einem Tresen nahe des Hamburger Großneumarkts und schauen an einem Wahltag mit Bernd Schoch noch einmal über den Glasrand hinaus.
gut gezeichnet
Gedeutet und gezeichnet wird seit jeher im Anschluss an jeden Film auf dem Duisburger Podium. DER NSU-PROZESS – DAS PROTOKOLL DES ERSTEN JAHRES von Soleen Yusef gibt Gelegenheit, die Anfänge des Geschehens im Münchner Gerichtssaal zu erfahren. In einem Anschauungsprozess wird das Tonstudio zum Zeugenstand. Gerd Kroske geht in STRICHE ZIEHEN. einem Strich unter der Geschichte im Weimar der 1980er Jahre nach. Er ruft Fragen, Distanzierungen und Kopfschütteln hervor, die ein weißes Band um die Berliner Mauer zog. In STÄDTEBEWOHNER verschlingen sich Schnellstraßen um San Fernando in Mexiko-Stadt. Thomas Heise zeigt Totschläger und Entführer beim Picknick im Gefängnishof, Geschichten von der Familie und vom Töten, ohne zu urteilen. Ivette Löcker folgt mit WENN ES BLENDET, ÖFFNE DIE AUGEN der Beziehung von Ljoscha und Schanna durch Alltag und Abhängigkeit in Sankt Petersburg. Neben Mutter Maria scherzen sie, ihrer Sucht bewusst, über Lebensmut und Verfall. PADUREA E CA MUNTELE, VEZI? [DER WALD IST WIE DIE BERGE] von Didier Guillain und Christiane Schmidt schlägt den kulturellen Bogen zurück in ein Dorf der Roma in Rumänien. Neben dem Schlagen von Holz und Fragen der Zwischenmenschlichkeit wacht der Patron über die Gemeinschaft, den Glauben und die Kartoffelernte.
gut gebucht
Im Rahmen des 3SAT EXTRA finden sich Hans-Dieter Grabe, dessen letzten Arbeit RAIMUND – EIN JAHR DAVOR im diesjährigen Programm Uraufführung feiert, und Gabriele Voss zum Thema LIEBER WENIGER ALS VIEL im Gespräch wieder. DIE ERSTE KARTE präsentiert Mischa Hedinger, Preisträger der „Carte Blanche“ im letzten Jahr, der von der Arbeit an seinem neuen Projekt AFRICAN MIRROR (AT) berichtet.
gut gewidmet
Ein annus horribilis. Zu beklagen ist der Tod dreier Freunde der Duisburger Filmwoche: Peter Liechti, Michael Glawogger und Harun Farocki. Der Verlust ist noch nicht zu ermessen, dieses Festival ihnen zu widmen das Mindeste. Doch viel zu umfangreich und vielgestaltig sind ihre Werke, als dass man an Retrospektiven im Kontext der Filmwoche denken könnte. Stattdessen werden wir jedem der drei ein besonderes Memento ausrichten: Zu Peter Liechti eine Lesung aus seinem Buch „Klartext. Fragen an meine Eltern“ im Rahmen des AU REVOIR zum Abschluss der Filmwoche am Sonntag Vormittag. Zu Michael Glawogger eine Ausstellung „‚Die Bilder sind oft unangenehm‘ – Fotografien von Michael Glawogger“ im Grammatikoff. Zu Harun Farocki zwei Filme in denen er selbst zur Anschauung kommt: NICHT LÖSCHBARES FEUER (1969) und ZWISCHEN DARSTELLUNG UND ERKENNTNIS (2012, ARTE Creative) im Rahmen des EN PLUS, das nach der Preisverleihung von ARTE und der Duisburger Filmwoche präsentiert wird.
Zum dreizehnten Mal findet gleichzeitig mit der Duisburger Filmwoche auch das Kinder- und Jugenddokumentarfilmfestival doxs! kino statt.
Am Sonntag, den 9. November, werden ab 15 Uhr ausgewählte Preisträgerfilme noch einmal im filmforum am Dellplatz zu sehen sein.
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